Reif für die Insel

Afleidingskanaal van de Leie

Samstag, 9. Juni 2018 – Tag 5 – Temse bis Zeebrugge

  • 91 km von total 605 km
  • 5:17:16 Stunden Fahrzeit netto
  • 17,3 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit Fahrzeit netto
  • 6:39:09 Stunden Gesamtzeit mit Pausen
  • Vereinzelte Wolken, später wolkig mit wenig Aufheiterungen, trocken
  • Temperatur 20 – 26 Grad Celsius
  • Wind 5 – 26 km/h (1 – 4 Beaufort) aus N bis NO

Eigentlich ist das Hotelbett viel zu schön um es zu verlassen. Aber ich habe ja Ziele. Eins für heute und eins in Schottland. Also raus aus den Federn. Richtig erleichtert bin ich erst als ich mein Fahrrad samt Anhänger unter der Treppe sehe. Noch besser geht es mir als ich wieder in Richtung des vermissten Campingplatzes unterwegs bin.

Dass die Erleichterung nicht lange anhält, merke ich bald. Der Tag gestern war doch anstrengender als erwartet. Und obwohl ich gut geschlafen habe, bin ich nicht so richtig erholt. Kein Wunder nach vier Tagen Radreise. Ich muss erst meinen Rhythmus finden. Und vielleicht noch ein paar Kilo verlieren. Wird schon.

Die heutige Etappe sollte einfacher und leichter werden. Nur etwa neunzig Kilometer. Erneut völlig flach. Trotzdem darf ich nicht trödeln. Die Fähre legt um 19 Uhr ab. Das heißt ich habe gute zehn Stunden Zeit für die neunzig Kilometer. Mit Pausen. Und ich brauche noch etwas Luft für den Check-in und das Boarding. Oder Pannen.

Bald spüre ich dass es kein leichter Tag wird. Der Wind steht mir ziemlich genau auf der Nase. Anfangs noch schwach. Je näher ich der Küste komme um so stärker bläst er. Die Radwege sind schlecht bis mies in diesem Teil Flanderns. Nicht so schön wie an den vorherigen Tagen. All dies nervt mich und ich spüre wie gereizt ich bin. Jetzt also auch noch Kampf mit der eigenen Psyche. Das kann ja heiter werden. Wird es natürlich nicht.

In Waasmunster biege ich nach Norden ab. Fahre vielleicht hundert Meter an dem vermissten Campingplatz vorbei. Ohne ihn zu sehen. Ist vielleicht auch besser so. Ein paar Kilometer später erreiche ich die Moervaart, einen kleinen Kanal der Gent mit dem Flüsschen Durme verbindet. Heute wird er nur noch für die Freizeitschifffahrt genutzt. Es gibt ein paar hübsche Zugbrücken. Aber erstmal keinen asphaltierten Weg am Kanal. Also folgt mein erstes Offroad-Abenteuer. Gut, Abenteuer nur insofern, dass ich nicht weiß ob der Weg noch schlechter oder vielleicht sogar unbefahrbar wird.

Zum Glück komme ich irgendwie durch. Der Weg ist zwar recht holprig, aber wenigstens trocken. Nach gut drei Kilometer ist das Abenteuer schon beendet. An der Coudenbormbrug gibt es wieder Asphalt auf dem weiteren Weg. Hier stärke ich mich mit ein wenig Nervennahrung in Form eines süßen Stückchens. In Moerbeke verlasse ich den Kanal und arbeite mich auf Schleichwegen durch Zelzate weiter Richtung Küste vor.

In Eeklo finde ich eine Bäckerei. Jetzt am Nachmittag sieht die Auslage schon sehr aufgeräumt aus. Aber es gibt Erdbeeren. Beim Bäcker! Da kann ich selbstverständlich nicht nein sagen. Frisch mit Proviant versorgt ziehe ich weiter. Zum nächsten Kanal, dem Afleidingskanaal van de Leie oder inoffiziell Schipdonkkanaal. Früher diente er unter anderem dazu, das verschmutzte Stadtwasser aus Gent ins Meer zu leiten. Das hat sich zum Glück geändert. Mag man sich vorstellen wie es zu den Zeiten hier gerochen hat? Nein!

Der Kanal ist auch der letzte für heute. Und der nervenaufreibendste. Eigentlich ist er schön. Der Asphalt ist gut. Bäume schützen ein wenig vor dem Wind. Links der Radweg, rechts Kühe. Viel Radweg, viele Kühe. Noch mehr Radweg, noch mehr Kühe. Endloser Radweg, endlos Kühe. Fast dreißig Kilometer zerrt er an den Nerven. Die Kühe eher nicht. Er scheint nicht enden zu wollen. Sieht immer gleich aus. Ich sehne mich nach dem Meer. Ich zwinge mich zu einer Pause. Liege gut in der Zeit. Aber ich will auch weiter. Will dass der Kanal ein Ende hat. Von rechts gesellt sich der Leopoldkanal hinzu. Beide Kanäle verlaufen parallel, nur durch einen Deich getrennt. Leider bringt er keine Abwechselung mit. Jetzt drücken eben zwei Kanäle aufs Gemüt.

Gefühlte zehn Stunden später die ersten Schiffe am Horizont. Sie scheinen mitten in den Wiesen zu liegen. Als ich die Schiffe fast greifen kann, ist endlich der Hafen von Zeebrügge erreicht. Viele Containerbrücken. Ich wechsle nochmal die Kanalseite nur um fünf Kilometer weiter wieder rüber zu müssen. Über die Hubbrücke der Seeschleuse. Natürlich hebt die Brücke sich gerade als ich sie erreiche. Was auch sonst? Aber Zeit habe ich genug, also schaue ich dem einlaufenden Schiff zu.

Der Fährhafen liegt direkt hinter dem kleinen Ort Zeebrugge. Ich schaue kurz nach einem Laden um Verpflegung aufzufüllen. Finde aber keinen. Nicht so schlimm, ich bin noch gut versorgt. Es ist erst Viertel nach drei. Fast vier Stunden bis die Fähre ausläuft. Trotzdem fahre ich direkt auf das Hafengelände. Es gibt keinen Radweg, also folge ich der Beschilderung entlang der Hauptstraße. Schon hier in Belgien überprüfen der britische Zoll und die Grenzbehörde. Es ist noch nicht viel los und alles läuft recht flüssig. Mit meinem Gefährt falle ich natürlich auf. Im Wartebereich bin ich noch fast alleine. Erst nach und nach füllt sich der große Parkplatz.

Ich verteibe mir so gut es geht die Zeit. Viel machen kann man hier nicht und ich möchte mein Gefährt auch nicht gerne alleine lassen. Also esse ich erstmal etwas. Etwa eine Stunde vor Abfahrt der Fähre ist es endlich soweit und die Tore werden geöffnet. Als Erstes dürfen die lärmgetriebenen Zweiräder an Bord fahren. Ich werde aufgefordert mich ihnen anzuschließen. Die Rampe ins Schiff ist fast ebenerdig und ich kann direkt in den Schiffsbauch rollen. Drinnen zeigt man mir den Platz für Fahrräder direkt vorne an der großen Ladeluke. Mein Gefährt wird von einem Mitglied der Mannschaft mit Seilen gesichert. Ich nehme nur die Tasche mit dem Waschzeugs, meinen Verpflegungsbeutel und die Lenkertasche mit den Wertsachen an mich. Der Rest bleibt am Fahrrad.

Die Fähre hat nur Viererkabinen. In weiser Voraussicht habe ich eine Kabine zur Einzelbenutzung gebucht. War nicht einmal teurer, aber es erspart irgendwelche fremde, schnarchende Zimmergenossen. Nachdem ich mich ein wenig eingerichtet habe, unternehme ich noch eine Schiffserkundung. Auf meinem Rundgang entdecke ich wo Möven ihre Gelege verstecken. Hoch oben auf einem Dalben sind die kleinen Piepser bestens geschützt, wenn auch von oben gut einsehbar. Zumindest wenn dort ein Schiff am Kai liegt.

Nachdem auch die letzten LKW an Bord sind, legt die Fähre recht pünktlich um 19 Uhr ab. Ich beobachte noch eine Weile die Ausfahrt aus dem Hafen, dann kehre ich in meine Kabine zurück. Restaurant oder Snack Bar sind keine Option, da ich meinen Goldesel zu Hause lassen musste. Das arme Tier den ganzen Weg hinter mir her trotten lassen nur damit ich auf der Fähre futtern oder ein Bier trinken kann? Nein, da verzichte ich lieber. Dafür tauche ich noch kurz in meine Vorräte ein, dann lege ich mich in die Koje. Kaum liege ich flach, fallen mir die Augen zu und das ganz sanfte Schaukeln des Schiffes wiegt mich sofort in den Schlaf.

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de_DEDeutsch