Der Plan für Tag eins steht. Es soll ein gemütlicher Beginn werden. Das Ziel heißt Campingplatz Nieder-Mooser See im Vogelsberg. Knapp 109 Kilometer zum Aufwärmen. Eigentlich beginnt der Tag schon zu schön. Mit einem kleinen Schönheitsfehler. Der Wind weht recht lebhaft aus Nordost. Ich fahre anfangs nach Südosten, dann nach Osten, den größten Teil der Strecke dann aber… Genau!
Zuerst rolle ich vorwiegend bergab durch Kelkheim, Liederbach, Unterliederbach und Höchst zum Main herunter. Die Sonne scheint meistens, aber es quellen schon dickere Wolken, einige sind auch dunkel. Ich wechsele auf die andere Mainseite, immer am Fluß entlang. Vormittags ist auf dem Radweg kaum jemand unterwegs. Es macht sogar Spaß Frankfurt zu durchqueren. Viele Gänse begegnen mir. Nichts ungewöhnliches hier am Fluß, aber zur Zeit haben sie alle Jungtiere in den unterschiedlichsten Größen. Früh trainieren die Eltern mit ihren Kleinen zwischen Radfahrern und Joggern den Weg zu queren.
Mainhattan und der Eiserne Steg
Schwanheim, Sachsenhausen, am Eisernen Steg das obligatorische Foto von Mainhattan, dann Offenbach, weiter bis zur Rumpenheimer Fähre. Genau bei meiner Ankunft legt sie ab und ich muss warten bis sie wiederkommt. Zum Glück ist der Main nicht so breit, der Andrang ist gut, sodass es keine große Wartezeit gibt. Mit meinem schwer bepackten Fahrrad komme ich nicht auf die Plattform die für Radler vorgesehen ist. Also belege ich den Platz für ein ganzes Auto. Auch mal nett.
Die Rumpenheimer Fähre legt gerade ab als ich ankomme
Am anderen Ufer angekommen geht es ein Stück weiter auf ruhigen Rad- und Feldwegen bis Maintal. Im Ortsteil Hochstadt geht es zum ersten Mal aufwärts. Über Kopfsteinpflaster, richtige Kinderkoppen wie in Flandern. Macht aber mit einem schweren Rad nicht so viel Spaß. Trotzdem versuche ich mich an die Regel zu halten, so schnell wie möglich zu fahren. Nun, bergauf ist das nicht besonders viel.
Wenig später ein letzter Stopp bei einer ehemaligen Arbeitskollegin um mich für ein paar Monate zu verabschieden. Sie hat mir ein ganz tolles Lunchpaket geschnürt. Aber wohin? Platz habe ich eigentlich keinen und zusätzliches Gewicht brauche ich auch nicht unbedingt. Ich stopfe alles in die Lenkertasche. Irgendwie. Wäre auch zu schade um es zurückzulassen. Noch ein Abschiedsfoto und ich bin endgültig auf dem Weg.
Hier beginnt so langsam die Wetterau. Es geht eine Weile weiter bergauf. Nicht sehr steil, aber gleichmäßig. Genug um mich ins schwitzen zu bringen. Und ich spüre auf einmal ein unangenehmes Ziehen in der rechten Achillessehne. Egal. Weiter.
Die Hohe Straße – Windräder und ohne Deckung dem Wind entgegen. Dafür autofrei.
Ich erreiche die Hohe Straße, eine sogenannte Regionalparkroute, schön asphaltiert und autofrei. Werktags um die Mittagszeit sogar fast menschenleer. Der Wind bläst mir jetzt auf die Nase. Hier oben ist alles freie Fläche. Windräder drehen sich lebhaft und munter links und rechts. Aber es läuft gut. Eine erste Rast auf eine Bank hinter Büschen. Ich muss mein Lunchpaket reduzieren. Der Lenker schlenkert doch deutlich seit ich die Lenkertasche so voll bepackt habe.
Bei den Prozenten schweigt des Dichters Höflichkeit. Bergab ist es eh egal.
Nach den ersten Anstiegen und Abfahrten gelange ich tiefer in die Wetterau. Hier ist es wieder ziemlich eben. Ich habe das Tal des Flüßchens Nidder erreicht. In Altenstadt biege ich auf den Vulkanradweg. Er soll mich bis fast zu meinem Tagesziel führen. Für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt macht es hier richtig Spaß zu radeln. Nur selten komme ich in den Ortschaften mit motorisiertem Verkehr in Berührung. Leider schmerzt die Achillessehne nun auch auf ebener Strecke.
Die alte Brücke über die Nidder in Ortenberg. Nur für Radler und Fußgänger.
In Ortenberg an der alten Brücke über die Nidder mache ich eine zweite Rast, reduziere das Lunchpaket und gönne meiner Sehne ein paar Minuten Ruhe. Leider nutzt es nicht viel. Es geht nun bergauf in Richtung Vogelsberg. Mit jedem Meter werden die Schmerzen schlimmer. Ich beiße die Zähne zusammen und trete mechanisch weiter. Knapp zehn Kilometer später in Hirzenhain sind die Schmerzen so stark dass ich eine erneute Pause einlegen muss. Außerdem zieht eine sehr dunkle Wolke heran. Ich suche mir eine Bushaltestelle und warte den kurzen, aber ergiebigen Guss von oben ab. Ich denke ans Aufgeben. Will versuchen ob ich jemanden erreichen kann der mich abholt. Aber es gibt kein Netz.
Also weiter. Vielleicht schaffe ich es bis zum Zeltplatz und kann mich dort über Nacht ausruhen, sodass es morgen besser aussieht. Sechs Kilometer weiter ist dann endgültig Schluss. Ich schaffe gerade noch einen Anstieg, dann habe ich das Gefühl es zerreißt mir die Sehne. Unten im Tal liegt Gedern. Ich rolle die Kehren in den Ort herunter. Zum Glück muss ich nicht treten. Schon der Wechsel von Innenpedal auf das Außenpedal in den Kurven schmerzt höllisch.
Im Ort muss ich absteigen und schieben. Es fängt nun auch noch an zu regnen. Zum Glück finde ich schnell einen trockenen Unterstand. Hier gibt es auch ein Netz und ich kann organisieren dass ich abgeholt werde. So recht begreife ich es noch nicht dass meine Tour hier schon wieder zu Ende sein soll. Aber es lässt sich nicht verleugnen.
Unter der großen Linde endet der erste Versuch nach 90 Kilometern.
Später als der Regen wieder aufhört und die Sonne rauskommt, setze ich mich unter einen großen Lindenbaum in der Ortsmitte. Gute anderthalb Stunde später sitze ich im Auto, mein Rad und das Gepäck sind hinten verladen. Es geht zurück nach Hause.
Am nächsten Tag diagnostiziert mein Arzt eine Achillessehnenentzündung. Tabletten, kalte Umschläge, mit Salbe einreiben. Radfahren verboten. Er ermahnt mich nicht zu früh wieder anzufangen. Und sagt dass ich Glück hatte das die Sehne nicht gerissen ist. Achillessehnen sind seltsame Objekte. Die reißen gerne mal bei Überanstrengung oder auch aus heiterem Himmel.
Jetzt also erst einmal Ende und Aus. Trotzem will ich wieder starten sobald es geht. Aber ich will die Sehne auch gut auskurieren. Nichts riskieren. Hoffe dass es nicht sechs bis acht Wochen dauert. Es wird eine harte Geduldprobe.
Im einem Computer Onlinespiel gibt es den berühmten Slogan eines Charakters: „Du bist nicht bereit“. Und dies hätte er genauso gut zu mir sagen können. Nun, eigentlich war ich bereit. Nur nicht ausreichend. Die Zeit lief mir davon. Es blieben immer noch tausend Dinge zu tun. So kam es mir vor.
Nachdem ich fast den ganzen Montag damit verbracht hatte, herumzufahren und ein paar letzte Dinge zu kaufen, das Zelt und den Schlafsack auszutauschen, war ich ziemlich müde und nur ein kurzer Abend war übrig um das neue Zelt zu überprüfen, die Radtaschen entsprechend der überarbeiteten Packliste zu packen, vielleicht eine kurze Testfahrt zu machen, mein Zimmer ein wenig aufzuräumen und einige Sachen auf dem Computer zu erledigen, wie zum Beispiel an meiner Webseite zu arbeiten und ein paar Programme auf meinem Netbook zu installieren. Und so entschied ich mich nach einiger Überlegung meine Abfahrt um einen Tag zu verschieben. Das würde mir genug Zeit geben um am Dienstag alles in Ruhe vorzubereiten, sodass ich bereit sein würde am Mittwochmorgen loszufahren. Schließlich habe ich keine Eile.
Nach einem schönen Essen und ein bisschen plaudern mit meiner Vermieterin, schlief ich sehr gut und konnte den Dienstagmorgen in aller Frische beginnen. Ich erledige noch ein bisschen Wäsche, dann baute ich mein neues Zelt im Garten auf. Das Neue, ein Jack Wolfskin Skyrocket II Dome ist nicht so groß wie das Tatonka Alaska 2, aber es ist geräumig genug, kann auf festen Oberflächen ohne Heringe stehen und ist nicht so schwer. Es spart mir über anderthalb Kilo.
Als Nächstes packte ich die Radtaschen und den Trockenbeutel nach den Ratschlägen von Anne aus der Facebookgruppe Radreisen. Ihr könnte euch nicht vorstellen wie überrascht ich war dass alles schön hinein passte. Und es ist sogar noch Platz für Essen übrig. Ich wog das ganze Zeugs und am Ende war ich ein wenig mehr als acht Kilo leichter als vor Annes Ratschlägen. Ich bin so dankbar für ihre fantastische Hilfe.
Sehr viel leichter der Eindruck der überarbeiteten Beladung
Dann kam Alles auf das Rad. Zuerst hatte ich ein wenig Sorge ob das Rad sich mit der verbesserten Ladung gut anfühlen würde. Müsste ich vielleicht noch mehr abladen? Oh nein, es fühlte sich klasse an. Die ganze Wackelei war verschwunden. Und es fühlte sich auch nicht mehr so schwer an. Ich fuhr eine kurze Runde von vier Kilometern, einschließlich einer steilen Abfahrt und einem Anstieg, ging bergauf aus dem Sattel. Alles war gut und schön. Ich war sehr erleichert.
Zurück Zuhause war es Zeit sich um die verbliebenden Dinge am Computer zu kümmern, ein schönes letzte Abendessen auf einem richtigen Herd zuzubereiten und ein gutes Glas Wein zu trinken.
Während der Tag der Abfahrt unweigerlich näher rückt, ist es Zeit einen letzten Blick zurück auf die vorherigen Tage zu werfen.
Es war eine ziemlich geschäftige Zeit, vor allem ausgefüllt durch meinen Umzug. Ich habe meine Wohnung aufgegeben und bin zu einer guten Freundin gezogen, da ich vorhabe für den größten Teil des nächsten Jahres auf Reise zu sein, vermutlich sogar länger. Also war es einfach unnötig jeden Monat 800 Euro auszugeben nur damit die Möbel untergestellt sind. Die größte Herausforderung war es meinen ganzen Besitz aufzuteilen. Der größte Teil kam in ein Lager das ich für etwas mehr als 100 Euro im Monat gemietet habe. Dorthin kamen die meisten Möbel, Kleidung die ich nicht brauche, dazu all die Tausend dummen Dinge die ich im Laufe meines Lebens angesammelt habe und bei denen ich einfach noch nicht bereit bin sie aufzugeben.
Dann waren da die Dinge die in den Müll wandern konnten. Tatsächlich war es ein ziemlich großer Teil meines Besitzes. Sachen die ich im Keller gelagert hatte und die seit meinem letzten Umzug vor fünf Jahren nicht das Tageslicht gesehen hatten, dazu eine Menge anderer nutzloser Dinge. Einige davon waren nett zu haben, aber ganz sicher nicht notwendig und im Allgemeinen eine Verschwendung von Platz und Raum. Also vollzog ich das große Ausräumen was mein Leben sehr viel leichter und weniger beladen machte.
Der letzte Haufen Dinge waren diejenigen die mit mir kommen sollten. Entweder in mein neues Zimmer bei meiner guten Freundin – Bett, Schrank, Computertisch, ein paar elektronische Geräte, Kleidung, Dokumente, usw. Oder mit auf meine Fahrradreise. Letzteres waren noch nicht Viele, da ich zu der Zeit noch das Meiste kaufen musste.
Was ich bereits hatte war das Fahrrad. Mein Gefährt. Mit der Hilfe der Webseite crazyguyonabike.com, Blogs von anderen Langzeitradlern und Fahrradreiseforen, entschied ich mich einen Surly Long Haul Trucker zu kaufen. Surly verkauft fertige LHTs, aber sie haben Komponenten die ich lieber austauschen würde. Also entschied ich mich für ein nach meinen Vorstellungen gebautes Modell und kaufte nur einen brandneuen 2018er Rahmen in glänzendem schwarz. Die Aufgabe das gesamte Rad aufzubauen erhielt ein örtlicher Fahrradhändler, wo einer der Verkäufer, Aaron, fantastische Arbeit leistete genau die richtigen Teile für mein Rad vorzuschlagen.
Ich werde keine vollständige Liste der verwendeten Teile aufstellen, aber zum Nachlesen, hier sind einige der wichtigeren Komponenten: Shimano 105 3×10 mit 50-39-30 vorne und 11-34 hinten, Ritchey Classic C220 Vorbau, Richtey Classic Rennlenker, Avid Shorty Ultimate Cantilever Bremsen, Schwalbe Marathon Mondial Evolution Double Defense Reifen, Brooks Cambium C17 All Weather Sattel, Son Edelux II LED Lampe, Busch & Müller Ewerk, Tubus Cosmo Träger hinten, bzw. Tara vorne, SONdelux Nabendynamo und Mavic XM 317 26“ Felgen mit DT Competition Speichen.
Die nächsten Dinge die ich kaufte war mein Heim und seine Einrichtung. Das Zelt war ein Tatonka Alaska 2.235 helloliv mit einer Helsport Rondane 2 Zeltunterlage, einer Therm-a-Rest Prolite Plus L Schlafmatratze und ein Vaude Sioux 800 Schlafsack. Alles die falsche Wahl wie ich später herausfinden sollte. Nun, vielleicht nicht falsch, aber sicherlich zu groß und zu schwer. Nach einer guten Unterhaltung und einer riesigen Hilfe durch Anne, einer Frau die ganz alleine mit dem Fahrrad durch die USA gefahren war, bin ich überzeugt die ganzen Sachen durch viel leichtere, weniger massige Dinge zu ersetzen.
Innerhalb der letzten vier Wochen kaufte ich außerdem eine Menge Dinge die ich mitnehmen wollte, nur um herauszufinden dass es viel zu viel war. Ich fand so viele Informationen über Dinge die man braucht, dass ich förmlich überwältigt war und viele falsche Entscheidungen traf. Aber es brauchte eine Testfahrt um das herauszufinden, auf die mehr oder weniger harte Weise.
Mein Gefährt voll bepackt… viel zu voll
Letzte Woche war es die Idee mit dem vollbeladenen Rad, viel mehr als ich eigentlich für so eine kurze Tour benötigen würde, von Frankfurt nach Landeck am Inn in Österreich zu fahren, um mich dort mit meinen Freunden vom meinem Kanu Club zu treffen, dort mit dem Auto hinfahren würden. Auf der „direttissima“ war es eine Fahrt von 513 Kilometern. Ich hatte vor diese Tour in drei oder vier Tagen zu fahren. Keine große Sache dachte ich. Falsch, vollkommen falsch.
Als ich am frühen Montagmorgen starten wollte, merkte ich schnell dass das Rad viel zu schwer war. Es war kaum zu beherrschen. Nach ungefähr 500 Metern kehrte ich um. Lud Sachen aus. Versuchte es erneut. Lud noch viel mehr aus. Es war früher Nachmittag als ich schließlich losfuhr und mich auf meinen Weg machte. Das Fahrrad fühlte sich immer noch nicht richtig an, manchmal wackelte es und schien sich aufzubäumen wie ein Rodeobulle, aber trotzdem fuhr es sich gleichzeitig leicht und sanft. Mit leichtem Gegenwind rollte ich südwärts, durch kleine Orte, aber vor allem Wälder und Ackerland, alles flach. Es waren alle Arten von Oberflächen – Asphalt, Schotter, Kies, sogar loser Sand. Schließlich war es eine Testfahrt. Das Rad kam mit allem klar.
Der schöne Teil endete nach etwa 50 Kilometern als ich einer Bundesstraße folgte da sie den direkte Weg darstellte. Okay, es gab immer einen Fahrradweg entlang der Straße, manche Teil in schlechtem Zustanmd, aber häufige Ampelstops zogen die Fahrt in die Länge. Schließlich, nach fast fünf Stunden und 100 Kilometern erreichte ich Heidelberg und entschloss mich den Tag zu beenden. Ich suchte nach einem Campingplatz und fand einen, etwa fünf Kilometer den Neckar hoch. Ein kaltes Bier und eine warme Dusche schlossen den ersten Tag ab.
Die verdiente Erfrischung am ersten Abend.
Dienstag war ein genauso schöner Tag wie der zuvor. Sonnig, warm, fast heiß. Ich hatte eine Nacht echten Camperlebens genossen, einschließlich Mückenstichen, und eingezwängt zwischen zwei Straßen auf dem mit Gras bewachsenen Ufer des Flusses. Ich brauchte eine Weile um in Gange zu kommen, es war schon fast zehn Uhr bis ich los kam. Zurück nach Heidelberg und durch den Stadtverkehr, endete der flache Teil der Fahrt bald. Ich fuhr jetzt in den Kraichgau, einer hügeligen Region zwischen dem Odenwald und dem Schwarzwald. Die ‘wenig befahrenen Straßen’ wie sie von demjenigen beschrieben worden waren, der mir die Route zur Verfügung gestellt hatte, hatte an diesem Tag offensichtlich ihren geschäftigen Tag, daher machte es keinen großen Spaß die lange, wenn auch nicht sehr steilen Anstiege der Hügellandschaft zu erklimmen. Leider behielt ich dabei auch nie die gewonnene Höhe wenn ich sie endlich erreicht hatte, da die Straßen immer wieder hinab ins nächste Tal führten. Auf und ab, auf und ab und zwei Stunden später wurde es immer deutlicher dass es mir niemals gelingen würde Österreich mit dem überladenden Rad zu erreichen. Die ganze Strecke hatte 6000 Höhenmeter und ich hatte kaum erste eintausend davon geschafft.
Der Start des zweiten Tages… blauer Himmel, blauer Neckar
Das Wetter war jetzt heiß, sonnig, wolkenloser Himmel, fast kein Schatten auf den Straßen. Ich füllte ständig die Flaschen wieder mit Wasser auf wann immer sich die Gelegenheit bot. Und so kam, nach 60 Kilometern, die Zeit der Entscheidung. Ich könnte weiterfahren, würde vermutlich Samstag in Österreich ankommen, völlig ausgepumpt, erschöpft und schlapp. Oder umdrehen und die Beladung des Rades ordentlich überdenken. Eine weitere Option über die ich nachdachte, war den Rhein zu erreichen und ihm nach Süden bis zum Bodensee zu folgen um von dort hoch nach Österreich zu fahren, aber das hätte der Fahrt weitere 200 Kilometer oder so hinzugefügt. Fast flach, aber immer noch ein viel längerer Weg. Nein, zum Rhein und nach Hause umkehren war die vernünftigste Option.
Es war ein kleines Abenteuer runter ins Rheintal zu gelangen, da ich keinen Track hatte und mir die Städte und Dörfer dieser Gegend nicht geläufig waren. Natürlich auf keine Karte. Und das Handy hatte keine ausreichend gute Verbindung um Karten in angemessener Zeit zu laden. Aber es gibt Läden in denen man fragen kann. Und man kann der Sonne folgen. Der Rhein liegt im Westen und die Sonne brennt aus Südwesten.
Und hier lernte ich etwas sehr Wichtiges: Folge den kleinen grünen Schildern für Radwege. Auf dem Rennrad willst du diese um jeden Preis vermeiden. Wunderbarer Asphalt endet plötzlich in tiefen Sandlöchern, steinigen Pfaden die die schmalen Reifen innerhalb von Sekunden zerfetzen können. Aber auf einem Reiserad spielt das keine Rolle. Diese kleinen Verbindungsstraßen sind ausgeschildert zu den nächsten zwei Dörfern, oder, wenn du Glück hast, zu einer größeren Stadt ein wenig weiter entfernt. Sie sind dein Freund. Egal welche Oberfläche, zwischen Ortschaften, halten sie dich fern von den großen Straßen und ihrem starken Verkehr. Vielleicht fügen sie einen Kilometer oder auch zwei zur Entfernung hinzu, aber sie sind wesentlich entspannter zu fahren und sehr oft bist du ganz alleine, sogar in Ballungsgebieten.
So mit wenig Anstrengung erreichte ich die Rheinebene, wo flache Straßen wieder die Nrm sind und das radfahren viel einfacher wurde. Da es bereits spät war, entschlied ich mich nicht bis Mannheim zu fahren, sondern vor der großen Stadt nach einem Campingplatz zu suchen. Eine weise Entscheidung wie der nächste Tag belegen sollte. Drei Campingplätze die ich mit Hilfe einer Suchmaschine fand existierten nicht mehr und ich war kurz davor mich mit Wildcampen in einem der kleinen Wälder abzufinden, die ich passierte, als ich ein paar Einheimische traf und sie nach einem Campingplatz fragte. Sie wiesen mir den Weg zu einem schönen Platz an einem See, kaum vier Kilometer entfernt. Und so, nach einem Tag von 8 Stunden und 135 Kilometern, wurde ich belohnt mit einem festen Boden der kaum zu durchstoßen war für meine Zeltheringe, einer warmen Dusche, einer köstlichen Nudelmahlzeit, zwei großen kalten Bieren und einer Nacht voll unruhigem Schlaf durch die Autobahn in der Nähe.
Mittwochmorgen begann mit einem weiteren späten Start, da ich meinen Fahrradcomputer und mein Handy in den Sanitärräumen laden musste während ich frühstückte und meine Sachen zusammenpackte, dabei immer ein wachsames Auge darauf ob jemand die Örtlichkeiten betrat. Das Wetter war immer noch gut, sonnig und warm, sogar schon am Morgen. Ich folgte weiter den kleinen grünen Schildern, dieses Mal nordwärts. Mein erstes Ziel sollte Mannheim sein, einer der Großstädte in dieser Gegend und ich fürchtete die Durchquerung, von Frankfurt wissend, dass es kein Spaß ist in großen Städten mit dem Rad zu fahren.
20 Kilometer waren ausgeschildert, und wie das Ende eines Regenbogens, hatte ich immer ein Lied im Kopf. Den „Neckarbrückenblues“ über die „Mannemer Neckarbrick“ von der kürzlich verstorbenen hier beheimateten Sängerin Joy Fleming. Sobald die Brücke überquert war (jede Brücke, denn es gibt mehr als eine), würde ich frei sein. Frei von der großen Stadt und wieder zurück auf fast leeren Radwegen. Jedoch kein direkter Weg hindurch, und auf kein Einfacher dazu. Fehlende Schilder, irreführende Schilder, Ampeln, ein großer Binnenhafen direkt im Weg, Straßenarbeiten. Am Ende waren es über 40 Kilometer, zweimal so viel wie erwartet, als ich endlich DIE BRÜCKE erreichte! Und als ein letzter Tritt in den Allerwertesten, konnte ich zwar die Brücke hinauffahren, aber um wieder herunterzukommen, musste ich mein schweres Rad drei Treppen hinuntertragen. Keine Warnung vorab. Entweder du trägst runter oder fährst zurück und findest eine andere Brücke. Niemals wäre ich in die große Stadt zurückgekehrt.
Nördlich von Mannheim geht es mit einer altertümlich anmutenden Fähre über den Altrhein
Der Rest der Fahrt verging ruhig. Im Grobem dem Rhein nordwärts folgend, mit Gegenwind, war es ein Kinderspiel. 15 Kilometer vor Zuhause entschloss ich mich in einem Biergarten eine Pause einzulegen, eine leichte Mahlzeit und ein kaltes Radler zu mir zu nehmen. Großer Fehler. Mückenstiche, mieser Service, das Getränk hatte einen bitteren Nachgeschmack. Aber zumindest war das Essen okay. Hätte mir die Erfahrung sparen sollen. Der letzte Teil war dann ein Stück Anstieg der ein wenig zusätzliche Energie bedurfte, aber schließlich war ich wieder zurück Zuhause. 150 Kilometer und 8 ½ Stunden auf dem Rad und eine Menge Dinge die geändert werden mussten. Ein paar geschäftige Tage lagen bis zum nächsten Dienstag vor mir. Dem herbei gesehnten Tag meiner Abfahrt.