Samstag, 23. Juni 2018 – Tag 19 – Stirling bis Laggan
158 km von total 1223 km
Morgens sonnig, später zunehmend bewölkt, trocken, kräftiger Wind aus westlichen Richtungen
Anmerkung:
Ich werde erstmal mit aktuellen Berichten fortfahren. Nach und nach folgen dann die bisherigen Tage.
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Nach einer Woche in Stirling ist heute der Tag gekommen an dem wir die zweite Unterkunft ansteuern wollen. Das Ferienhaus liegt direkt in den Highlands zwischen dem Örtchen Laggan und dem Dorf Newtonmore. Meine Freunde vom Kanu-Club Kelsterbach fahren mit dem Auto dorthin, ich nutze es zu einer Überführungsetappe mit dem Rad.
Die Wettervorhersage ist gut, aber die Strecke ist mit geplanten 156 Kilometern lang und durch die etwas über 2000 Höhenmeter fordernd. Daher bin ich dankbar dass meine Freunde mir anbieten den größten Teil meines Gepäcks im Auto mitzunehmen. Ich fahre nur mit einer Packtasche und der Lenkertasche um für alle Fälle Regensachen dabei zu haben und meine Kamera mitzunehmen.
Meine Abfahrt ist für acht Uhr geplant und tatsächlich bin ich kurz nach acht unterwegs. Meine Freunde wollen noch einen Umweg über Dundee fahren um ein wenig Sightseeing zu machen und am frühen Abend wollen wir uns im neuen Ferienhaus treffen.
Zuerst führt mein Weg über eine stark befahrene Straße auf der an diesem Samstagmorgen schon viele Wochenendausflügler Richtung Loch Lomond streben. Zum Glück kann ich nach gut zwei Kilometern auf eine frisch asphaltierte Nebenstraße abbiegen auf der keine Autos unterwegs sind. Allerdings hält das Glück nicht lang an. Die geplante Route führt mich direkt zu zwei Schildern an einem Tor „No Through Road“ und „Trespassers will be prosecuted“. Also abbiegen und dem Straßenverlauf wieder Richtung Hauptstraße folgen. Kurze Zeit später stelle ich fest, dass mich die Route wie sie geplant ist, direkt durch einen Safari Park geführt hätte. Ein Angestellter der mir begegnet und den ich frage ob es dort einen Radweg in den nächsten Ort gibt, antwortet nur grinsend: „Nein, außer sie wollen von einem Löwen gefressen werden.“
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Also zurück auf die Hauptstraße und nach zehn Kilometern erreiche ich Doune. Zum Glück sind die Kraftfahrer an diesem Morgen rücksichtsvoll. Zwei Kilometer hinter dem Städtchen kann ich die Hauptstraße wieder verlassen. Diesmal endgültig. Auf einer mit Schlaglöchern übersähten, einspurigen Straße geht es nun bergauf. Der flache Teil des Tages ist beendet, dafür bin ich hier vor dem kräftigen Wind besser durch Hecken geschützt. Keine Autos, welliges Profil, wobei die Anstiege immer höher führen. Trotzdem macht es Spaß. Vor allem weil ich kaum Gepäck dabei habe. Ohne meinen Anhänger kann ich kurze Anstiege gut wegdrücken und leicht meistern.
Ich erreiche Callander. Hier führt mich die geplante Route gegen die Friedhofsmauer. Keine Ahnung wo da ein Weg sein soll. Also weiche ich etwas ab, folge der Ausschilderung einer Fahrradroute. Bald merke ich, dass sie mich zu weit von meiner geplanten Route weg führt. Also kurz auf die Karte geschaut und mit einem kleinen Umweg bin ich schnell wieder dort wo ich hin will.
Kurz vor der Hauptstraße A84 biege ich links auf die National Cycle Route 7 die teilweise einer alten, aspahltierten Bahntrasse folgt. Durch dichte Laubwälder folge ich dem Flüßchen Garbh Uisge aufwärts zum Loch Lubnaig. Viele Kilometer kann ich diesen einsamen Weg genießen, teilweise völlig eben, teilweise mit leicht welligem Profil folgt er der viel befahrenen Hauptstraße auf der anderen Seite des Flusses. Da ist natürlich das eine oder andere grob geschotterte Teilstück gut zu verschmerzen.
Am Westende des Loch Earn bei dem Städtchen Lochearnhead schraubt sich der inzwischen zu einem schmalen Pfad gewandelte Radweg in Serpentinen den Berg hoch. Mit dem fast unbeladenen Rad ist der lose Kiesweg gerade noch zu bezwingen. Mit vollem Gepäck hätte ich hier schieben müssen. Oben angekommen werde ich wieder mit dem Rail Trail, der stillgelegten Eisenbahnstrecke belohnt. Mit kaum merklicher Steigung geht es der Passhöhe entgegen, die ich bald über ein großes Viadukt erreiche.
Oben quere ich die A84, passiere ein Denkmal für zwei Piloten die hier in der Nähe vor Jahren mit ihrem Tornado abgestürzt sind und erreiche über Forstwege wechselnder Qualität die Ortschaft Killan. Dort an den Fällen des Flusses Dorchart die wir schon am Tag zuvor mit dem Auto besucht hatten, lege ich eine Rast am örtlichen Souvenirkiosk ein und stärke mich mit einer Cola und einem Nuß-Karamell-Riegel für die Weiterfahrt.
Statt der stärker befahrene Straße im Norden des Loch Tay zu folgen, führt meine Route über die südliche Nebenstrecke, deren Schilder sie als „Walking & cycling friendly road“ ausweisen. Auf den ersten neun Kilometern begegnen mir noch gelegentlich Autos, aber ab einem dort idyllisch am See gelegenen Hotel gehört die Straße mir ganz alleine. Gute fünfzehn Kilometer genieße ich die wärmeren Temperaturen auf dieser schönen Straße hoch über dem See. Zwar auch immer wieder wellig, aber ohne steile Rampen. Irgendwann an einer Brücke heißt mich ein Schild in Perth & Kinross, dem Herzen Schottlands, willkommen. Kurz bevor ich den Ort Kenmore am Nordostufer des Sees erreiche, entdecke ich im See eines der Crannogs vom Loch Tay. Dabei handelt es sich um den Nachbau einer künstlichen Insel, wie sie bis ins Mittelalter als Schutzsiedlung von Siedlern entlang des Sees errichtet wurden.
Als ich den Ort verlasse, gerate ich in eine Radsportveranstaltung, die Martin Currie Rob Roy Challenge 2018, einer Kombination aus Wandern und fünfzig Meilen Radfahren. Hier beginnt auch der erste größere Anstieg und ich nutze die anderen Radsportler als Tempomacher, überhole sogar einige Rennradfahrer mit meinem Reisegefährt. Über sieben Kilometer zieht sich der Anstieg mit moderaten vier bis neun Prozent. Für die Mühe werde ich mit einer schönen sechs Kilometer langen Abfahrt belohnt. Nur um nach einem kurzen Flachstück eines lebhaften Flusses in den nächsten Anstieg zu fahren.
Fünf Kilometer lang geht es recht gleichmäßig mit etwa fünf Prozent aufwärts und der kräftige Rückenwind hilft mir. Ich mache eine kurze Pause. Noch liegen gut fünfzig Kilometer und einige Höhenmeter vor mir. Oben auf der Kuppe sehe ich auf der anderen Seite des Tales schon was mich erwartet. Mein Routenprofil hat mich schon vorgewarnt. Aber es zu dann sehen ist immer noch was anderes. Steil geht es dort hoch, in Serpentinen, hinauf auf das nächste Plateau. Aber bevor ich nach rasanter Abfahrt ins Tal wieder hinauffahre, mache ich noch eine kurze Rast.
Ich esse einen Apfel und einen Schokoriegel. Ein kurzer Check der körperlichen und mentalen Stärke ergibt gute Werte. Erstens gibt es sowieso keinen anderen Weg als dort hoch und zweitens habe ich schon ganz andere Anstiege gemeistert. Also los. Kleinster Gang. Und kurbeln. Immer weiter und weiter. Der gesamte Weg nach oben ist nicht lang, gute drei Kilometer, aber die Steigung erreicht besonders am Anfang gute zweistellige Werte. Anfangs nerven mich Horden von schwarzen Fliegen. Sie sind die größte Pein an diesem Berg. Aber je höher ich komme desto weniger werden es. Entweder mögen sie die Höhe nicht oder der starke Wind verbläst sie. Oben werde ich mit einer grandiosen, kargen Landschaft belohnt und fantastischen Ausblicken auf Hochmoore und die umliegenden Berge. Hier gibt es kaum Bäume und auch keine Schafe mehr. Ich bin ganz alleine mit der Natur. Und einem gelegentlichen Auto das sich dort hoch verirrt.
Nachdem ich über eine schöne, lange Abfahrt das Plateau verlassen habe, erreiche ich nach 118 Kilometern das Hochtal des Flusses Garry. Hier wird es hart. Nicht so sehr körperlich. Die Beine fühlen sich noch gut an. Aber ich fahre jetzt voll im Gegenwind der kräftig das Tal hinunter pfeift. Immer zwischen der A9 und der Eisenbahnstrecke Highland Main Line folge ich der National Cycle Route 7 auf größtenteils sehr schlechtem Belag hinauf zum Drumochter Pass. Die Passhöhe ist nicht gekennzeichnet, zumindest nicht vom Radweg ersichtlich, und so wähne ich mich mehrmals schon oben, nur um nach einer kurzen Senke weiter ansteigen zu müssen. Erst nach zwölf Kilometern erreiche ich mit 458 Metern den höchsten Punkt meiner heutigen Tour. Nicht besonders hoch, aber karg und öde, wie man es in Mitteleuropa in solchen Höhen niemals vorfinden würde.
Irgendwann ist es geschafft und das Tal knickt nach Norden ab, sodass ich nun teilweise Rückenwind habe während es sanft bergab geht. Zeit die durch das Fahren im Gegenwind verkrampften Schultern zu lockern und wieder entspannt durchzuatmen. Das Gröbste liegt nun hinter mir. Noch gute zwanzig Kilometer sind es als ein Schild mich in den Highlands begrüßt. Es geht nun wieder zügig voran, mein Tempo liegt im oberen Zwanzigerbereich. Ich überschlage kurz die vor mir liegende Strecke, ein paar kleinere Hügel noch. In einer Stunde sollte ich am Ziel sein. Achtzehn Uhr hatte ich geplant. Das schaffe ich locker.
Dann sehe ich vor mir eine Gruppe Leute auf einem Parkplatz der A9 stehen. Sie schauen zu mir herunter auf den tiefer liegenden Radweg. Als ich näher komme erkenne ich meine Freunde. Sie winken mir zu. Empfangen mich mit hochgereckten Daumen. Ich winke erfreut zurück. Wir unterhalten uns kurz. Verabschieden uns, werden uns spätestens in einer Stunde wiedersehen.
Der Rest der Strecke läuft. Der Wind jetzt meistens von hinten. Vorbei an der Whiskey Destillerie in Dalwhinnie geht es noch eine kurze, recht steile Rampe hoch. Ein letzter kurzer Stop für einen Apfel. Dann fast nur noch bergab, bis es einen Kilometer hinter Laggan links nach Balgowan geht, wo ich gegen Viertel vor sechs das Ferienhaus erreiche und meine Freunde wiedertreffe. Das Haus beziehen, eine schöne heiße Dusche und ein gutes Abendessen. Ich bin kaum müde und sehr zufrieden. Trotz einiger Anstrengungen war es eine sehr schöne Tour durch atemberaubende Landschaften. In großen Teilen abseits vom Autoverkehr. Jetzt wird das Rad noch einmal für eine Woche gegen Wanderschuhe getauscht.