Willkommen in den Highlands

Willkommen in den Highlands

Samstag, 23. Juni 2018 – Tag 19 – Stirling bis Laggan

  • 158 km von total 1223 km
  • 8:32:30 Stunden Fahrzeit netto
  • 18,6 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit Fahrzeit netto
  • 9:30:17 Stunden Gesamtzeit mit Pausen
  • Wolkig mit Auflockerungen, trocken
  • Temperatur 10 – 18 Grad Celsius
  • Wind 13 – 22 km/h (3 – 4 Beaufort) aus WSW und W

Nach einer Woche in Stirling ist heute der Tag gekommen, an dem wir die zweite Unterkunft ansteuern wollen. Das zweite Ferienhaus liegt direkt in den Highlands, zwischen dem Örtchen Laggan und dem Dorf Newtonmore. Meine Freunde vom Kanu-Club Kelsterbach fahren mit dem Auto, ich nutze die Gelegenheit zu einer Überführungsetappe mit dem Rad.

Die Wettervorhersage ist gut, aber die Strecke mit geplanten 156 Kilometern lang und die etwas mehr als 2000 Höhenmeter fordernd. Dankbar nehme ich das Angebot meiner Freunde an, den größten Teil meines Gepäcks im Auto mitzunehmen. Ich fahre nur mit einer Packtasche und der Lenkertasche, um für alle Fälle Regensachen dabei zu haben und meine Kamera mitzunehmen.

Meine Abfahrt ist für acht Uhr geplant und tatsächlich bin ich kurz nach acht unterwegs. Meine Freunde planen noch ein wenig Sightseeing und werden daher einen Umweg über Dundee fahren. Am frühen Abend wollen wir uns im neuen Ferienhaus treffen.

Zuerst führt mein Weg über eine stark befahrene Straße, auf der an diesem Samstagmorgen schon viele Wochenendausflügler Richtung Loch Lomond streben. Zum Glück kann ich schon nach gut zwei Kilometern auf eine frisch asphaltierte Nebenstraße abbiegen auf der keine Autos unterwegs sind. Allerdings hält das Glück nicht lang an. Die geplante Route führt mich direkt zu zwei Schildern an einem Tor „No Through Road“ und „Trespassers will be prosecuted“. Also abbiegen und dem Straßenverlauf wieder Richtung Hauptstraße folgen. Kurze Zeit später stelle ich fest, dass mich die Route, so wie sie geplant ist, direkt durch einen Safari Park geführt hätte. Mir begegnet ein Angestellter den ich frage ob es dort einen Radweg in den nächsten Ort gibt. Er antwortet nur grinsend: „Nein, außer sie wollen von einem Löwen gefressen werden.“

Also zurück auf die Hauptstraße. Zehn Kilometern weiter erreiche ich Doune. Zum Glück sind die Kraftfahrer an diesem Morgen rücksichtsvoll. Zwei Kilometer hinter dem Städtchen kann ich die Hauptstraße wieder verlassen. Diesmal endgültig. Auf einer mit Schlaglöchern übersäten, einspurigen Straße geht es bergauf. Der flache Teil des Tages ist nun beendet. Dafür bin ich hier durch Hecken besser vor dem kräftigen Wind geschützt. Keine Autos, ein welliges Profil, dessen Anstiege mich immer höher führen. Trotzdem macht es Spaß. Vor allem da ich kaum Gepäck dabei habe. Ohne den voll beladenen Anhänger kann ich kurze Anstiege gut wegdrücken und leicht meistern.

Ich erreiche Callander. Hier führt mich die geplante Route gegen die Friedhofsmauer. Keine Ahnung wo da ein Weg sein soll. Also weiche ich etwas ab, folge der Ausschilderung einer Fahrradroute. Bald merke ich, dass diese mich zu weit von meiner geplanten Route weg führt. Ein kurzer Blick auf die Karte. Mit einem kleinen Umweg bin ich schnell wieder dort wo ich hin will.

Kurz vor der Hauptstraße A84 biege ich links auf die National Cycle Route 7 die teilweise einer alten, asphaltierten Bahntrasse folgt. Durch dichte Laubwälder folge ich dem Flüsschen Garbh Uisge aufwärts zum Loch Lubnaig. Viele Kilometer kann ich diesen einsamen Weg genießen, teilweise völlig eben, teilweise mit leicht welligem Profil, folgt er der viel befahrenen Hauptstraße auf der anderen Seite des Flusses. Dadurch ist das eine oder andere grob geschotterte Teilstück natürlich gut zu verschmerzen.

Am Westende des Loch Earn bei dem Städtchen Lochearnhead, schraubt sich der inzwischen zu einem schmalen Pfad mutierte Radweg in Serpentinen einen Berg hoch. Fast ohne Beladung auf dem Rad ist der lose Kies auf dem Weg gerade noch zu fahrend bezwingen. Mit vollem Gepäck hätte ich hier schieben müssen. Oben angekommen belohnt mich wieder der Rail Trail, die stillgelegten Eisenbahnstrecke, für die Anstrengung. Mit kaum merklicher Steigung geht es der Passhöhe entgegen, die ich bald über ein großes Viadukt erreiche.

Oben quere ich die A84, passiere ein Denkmal für zwei Piloten die hier in der Nähe vor Jahren mit ihrem Tornado abgestürzt sind und erreiche über Forstwege wechselnder Qualität die Ortschaft Killan. Dort an den Fällen des Flusses Dorchart, die wir schon am Tag zuvor mit dem Auto besucht hatten, lege ich eine Rast ein. Am örtlichen Souvenirkiosk stärke ich mich mit einer Cola und einem Nuss-Karamell-Riegel für die Weiterfahrt.

Die Straße im Norden des Loch Tay ist verkehrsreicher. Daher wähle ich die südliche Nebenstrecke, deren Schilder sie als „Walking & cycling friendly road“ ausweisen. Auf den ersten neun Kilometern begegnen mir noch gelegentlich Autos. Hinter einem Hotel, idyllisch am See gelegen, gehört die Straße mir ganz alleine. Gute fünfzehn Kilometer genieße ich die wärmeren Temperaturen auf dieser schönen Straße hoch über dem See. Zwar ist sie auch immer wieder wellig, aber wenigstens ohne steile Rampen. Irgendwann an einer Brücke heißt mich ein Schild in Perth & Kinross, dem Herzen Schottlands, willkommen. Kurz bevor ich den Ort Kenmore am Nordostufer des Sees erreiche, entdecke ich im See eines der Crannogs vom Loch Tay. Dabei handelt es sich um den Nachbau einer künstlichen Insel, wie sie bis ins Mittelalter als Schutzbau von Siedlern entlang des Sees errichtet wurden.

Als ich den Ort verlasse, gerate ich in eine Radsportveranstaltung. Die Martin Currie Rob Roy Challenge 2018 ist eine Kombination aus Wandern und fünfzig Meilen Radfahren. Hier beginnt auch der erste größere Anstieg. Ich nutze die anderen Radsportler als Tempomacher, überhole mit meinem Reisegefährt sogar einige Rennradfahrer. Mehr als sieben Kilometer lang zieht sich der Anstieg mit moderaten vier bis neun Prozent den Berg hinauf. Für die Mühe werde ich danach mit einer tollen sechs Kilometer langen Abfahrt belohnt. Nur um nach einem kurzen Flachstück entlang eines lebhaften Flusses in den nächsten Anstieg zu fahren.

Fünf Kilometer geht es recht gleichmäßig mit etwa fünf Prozent aufwärts und der kräftige Rückenwind hilft mir. Ich mache eine kurze Pause. Noch liegen gut fünfzig Kilometer und einige Höhenmeter vor mir. Oben auf der Kuppe sehe ich auf der anderen Seite des Tales schon was mich erwartet. Das Routenprofil hatte mich schon vorgewarnt. Aber der direkte Anblick ist immer noch was anderes. Steil geht es dort hoch, in Serpentinen, hinauf auf das nächste Plateau. Nach rasanter Abfahrt ins Tal lege ich eine kurze Rast ein bevor den mächtigen Anstieg in Angriff nehme.

Ich esse einen Apfel und einen Schokoriegel. Ein kurzer Check der körperlichen und mentalen Stärke ergibt gute Werte. Erstens gibt es sowieso keinen anderen Weg als dort hoch und zweitens habe ich schon ganz andere Anstiege gemeistert. Also los. Kleinster Gang. Und kurbeln. Immer weiter und weiter. Der gesamte Weg nach oben ist nicht lang, gute drei Kilometer, aber die Steigung erreicht besonders am Anfang gute zweistellige Werte. Anfangs nerven mich Horden von schwarzen Fliegen. Sie sind die größte Pein an diesem Berg. Aber je höher ich komme desto weniger werden es. Entweder mögen sie die Höhe nicht oder der starke Wind verbläst sie. Oben werde ich mit einer grandiosen, kargen Landschaft belohnt, dazu fantastische Ausblicke auf Hochmoore und die umliegenden Berge. Hier gibt es kaum Bäume und auch keine Schafe mehr. Ich bin ganz alleine mit der Natur. Und ab und zu einem Auto das sich dort hoch verirrt.

Nochmal folgt eine schöne, lange Abfahrt vom Plateau hinunter, wo ich dann nach 118 Kilometern das Hochtal des Flusses Garry erreiche. Hier wird es hart. Nicht so sehr körperlich. Die Beine fühlen sich noch gut an. Aber ich fahre jetzt voll im Gegenwind der kräftig das Tal hinunter pfeift. Immer zwischen der A9 und der Eisenbahnstrecke Highland Main Line folge ich der National Cycle Route 7 auf größtenteils sehr schlechtem Belag hinauf zum Drumochter Pass. Die Passhöhe ist nicht gekennzeichnet, zumindest nicht vom Radweg ersichtlich, und so wähne ich mich mehrmals schon oben, nur um nach einer kurzen Senke weiter aufwärts zu müssen. Erst nach zwölf Kilometern erreiche ich mit 458 Metern den höchsten Punkt meiner heutigen Tour. Nicht besonders hoch, aber karg und öde ist es hier. Ganz anders als in solchen Höhen in Mitteleuropa.

Irgendwann ist es doch geschafft und das Tal knickt nach Norden ab. Es geht sanft bergab und teilweise habe ich sogar Rückenwind. Die Schultern sind vom Kampf mit dem Gegenwind verkrampft. Nun kann ich sie lockern und wieder entspannt durchatmen. Das Gröbste liegt nun hinter mir. Noch gute zwanzig Kilometer sind übrig als ein Schild mich in den Highlands begrüßt. Nun geht es wieder zügig voran. Mein Tempo liegt im oberen Zwanzigerbereich. Ich überschlage kurz die vor mir liegende Strecke. Nur ein paar kleinere Hügel noch. In einer Stunde sollte ich am Ziel sein. Achtzehn Uhr hatte ich geplant. Das schaffe ich locker.

Plötzlich steht auf einem Parkplatz der A9 eine Gruppe Leute. Sie schauen zu mir herunter auf den tiefer liegenden Radweg. Als ich näher komme erkenne ich meine Freunde. Sie winken mir zu. Empfangen mich mit hochgereckten Daumen. Ich winke erfreut zurück. Wir unterhalten uns kurz. Verabschieden uns, werden uns spätestens in einer Stunde wiedersehen.

Der Rest der Strecke läuft. Der Wind jetzt meistens von hinten. Vorbei an der Whiskey Destillerie in Dalwhinnie erwartet mich noch eine kurze, recht steile Rampe. Ein letzter kurzer Stopp für einen Apfel. Dann fast nur noch bergab. Einen Kilometer hinter Laggan geht es links nach Balgowan. Dort erreiche ich gegen Viertel vor sechs das neue Ferienhaus und treffe meine Freunde wieder. Das Haus beziehen, eine schöne heiße Dusche und ein gutes Abendessen. Ich bin kaum müde und sehr zufrieden. Trotz einiger Anstrengungen war es eine sehr schöne Tour durch atemberaubende Landschaften. In großen Teilen abseits vom Autoverkehr. Jetzt wird das Rad noch einmal für eine Woche gegen Wanderschuhe getauscht.

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